In diesem Verfahren hat eine teilzeitbeschäftigte Mitarbeiterin eines großen ambulanten Dialyseanbieters Zeitgutschriften für geleistete Überstunden und Entschädigung nach dem AGG geltend gemacht.
Die Klägerin ist bei dem Dialyseanbieter als Pflegekraft in Teilzeit im Umfang von 40 vH eines Vollzeitbeschäftigten tätig. Der anwendbare Manteltarifvertrag (MTV) sieht in § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV vor, dass Überstunden, die über die monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden können mit 30% Zuschlag zu werten sind. Dieser Zuschlag kann entweder ausgezahlt oder als Zeitgutschrift auf das Arbeitszeitkonto gebucht werden. Die Beklagte hat der Klägerin, deren Arbeitszeitkonto Ende März 2018 ein Guthaben von 129 Stunden und 24 Minuten auswies, keine Zuschläge gewähr, da die Klägerin jeweils nicht über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eine Vollzeitbeschäftigten Arbeitsleistung erbracht hat.
Die Klägerin klagt daraufhin auf Gewährung, weiterer 38 Stunden und 39 Minuten als Überstundenzuschläge auf ihr Arbeitszeitkonto und die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe eines Vierteljahresverdienstes. Sie stützt ihre Klage darauf, dass die Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV sie unzulässig gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten benachteilige. Darin liege auch eine mizttelbare Benachteiligung wegen ihres Geschlechts, da der Beklagte überwiegend Frauen in Teilzeit beschäftigt.
In erster >Instanz war die Klägerin unterlegen. Das Landesarbeitsgericht hat ihren Anspruch auf Zeitgutschrift bestätigt, jedoch keinen Entschädigungsanspruch zuerkannt.
In der Revision hatte das BAG mit Beschluss vom 28. Oktober 2021 (- 8 AZR 370/20 (A) – BAGE 176, 117)das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um die Beantwortung von Rechtsfragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts ersucht. Dies hat der EuGH mit Urteil vom 29. Juli 2024 (- C-184/22 und C-185/22 [KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation eV]) getan.
In Umsetzung der Vorgaben des EuGH war die Revision der Klägerin jetzt zumindest teilweise erfolgreich.
So bestätigt das BAG den Überstundenanspruch und urteilt eine Entschädigung iHv. 250,00 Euro aus. Zur Begründung verweist das BAG darauf, das entsprechend der Entscheidung des EuGH § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV insoweit wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten unwirksam ist, als er bei Teilzeitbeschäftigung keine der Teilzeitquote entsprechende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags vorsieht. Ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung sei nicht erkennbar. Durch die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung habe die Klägerin auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts erfahren, da zu mehr als 90% Frauen bei der Beklagten in Teilzeit tätig sind. Ein Betrag iHv. 250,00 Euro sei allerdings als Entschädigung ausreichend, um einerseits den der Klägerin durch die mittelbare Geschlechtsbenachteiligung entstandenen immateriellen Schaden auszugleichen und andererseits gegenüber dem Beklagten die gebotene abschreckende Wirkung zu entfalten.
Hinweise RA Dr. Norbert Gescher
Die Entscheidung ist in vollem Umfang richtig und beendet hoffentlich die seit Jahrzehnten andauernde Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten durch vertragliche und tarifliche Regelungen, die Ihnen eine Überstundenzuschlag erst bei Überschreitung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten zuweisen.
Damit ist auch klargestellt, dass die entsprechenden Regelungen in den AVR-Caritas (vgl. § 4 Abs.6 der Anlagen 31ff AVR-Caritas) rechtswidrig sind und in vielen Fällen Entschädigungsansprüche für die betroffenen Mitarbeiterinnen bestehen, sofern nicht durch abweichende Dienstvereinbarungen bereits gleich Bedingungen für die Gewährung von Überstundenzuschlägen geschaffen worden sind.
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Az: 8 AZR 370/20
Datum: 5.12.2024