BAG: Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen
- Adrian Kalb
- 4. Apr.
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Das Bundesarbeitsgericht hatte über die Wirksamkeit einer Arbeitgeberkündigung gegenüber einer zum Zeitpunkt der Kündigung schwangeren Arbeitnehmerin zu entscheiden. Entscheidungserheblich war hier der Zeitpunkt der Kenntnis über die Schwangerschaft.
Folgender Sachverhalt liegt zugrunde:
Die Klägerin (Arbeitnehmerin) ist bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 30.06.2022. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 14.05.2022 zu. Am 29.05.2022 führte die Klägerin einen Schwangerschaftstest mit einem positiven Ergebnis durch. Sie bemühte sich sofort um einen Termin beim Frauenarzt, den sie aber erst für den 17.06.2022 erhielt. Am 13.06.2022 hat die Klägerin Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung erhoben und deren nachträgliche Zulassung beantragt. Am 21.06.2022 reichte sie ein ärztliches Zeugnis beim Arbeitsgericht ein, das eine bei ihr am 17.06.2022 festgestellte Schwangerschaft in der „ca. 7 + 1 Schwangerschaftswoche“ bestätigte. Ihr Mutterpass wies als voraussichtlichen Geburtstermin den 02.02.2023 aus. Danach hatte die Schwangerschaft am 28.04.2022 begonnen (Rückrechnung vom mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage).
Die Klägerin ist der Ansicht, die Kündigungsschutzklage sei gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Vorschrift sei nicht einschlägig. Die Klägerin habe durch den positiven Test binnen der offenen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt.
In § 4 Satz 1 und 4 KSchG heißt es:
Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. (…) Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.
In § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG heißt es:
[Die Klage ist auf Antrag nachträglich zuzulassen], wenn eine Frau von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 Kenntnis erlangt.
In § 7 KSchG heißt es:
Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam (…).
In § 17 Abs. 1 MuSchG heißt es:
Die Kündigung gegenüber einer Frau ist unzulässig
1. während ihrer Schwangerschaft,
2. (…)
3. (…)
wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft (…) bekannt ist oder wenn sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Das Überschreiten dieser Frist ist unschädlich, wenn die Überschreitung auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird.
Das Arbeitsgericht sowie das Landesarbeitsgericht haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die streitbefangene Kündigung ist wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG unwirksam.
Das Gegenteil, so das BAG, wird nicht nach § 7 Halbsatz. 1 KSchG fingiert. Zwar hat die Klägerin mit der Klageerhebung am 13.06.2022 die gemäß § 4 Satz 1 KSchG einzuhaltenden Klagefrist (drei Wochen ab Zugang der Kündigung, d.h. ab dem 14.05.2022) nicht gewahrt. Allerdings richtet sich der Fristbeginn nicht nach § 4 Satz 4 KSchG, denn die Beklagte hatte im Kündigungszeitpunkt keine Kenntnis von der seinerzeit bereits bestandenen Schwangerschaft der Klägerin. Die verspätet erhobene Klage war jedoch gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Klägerin hat aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst mit der frühestmöglichen frauenärztlichen Untersuchung am 17.06.2022 positive Kenntnis davon erlangt, dass sie bereits seit dem 28.04.2022 und somit bei Zugang der Kündigung am 14.05.2022 schwanger war. Der etwas mehr als zwei Wochen danach durchgeführte Schwangerschaftstest vom 29.05.2022 konnte ihr diese Kenntnis nicht vermitteln.
Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:
Die Entscheidung des BAG (2 AZR 156/24) liegt bislang nur als Pressemitteilung Nr. 16/25 vor. Dass Kündigungen gegenüber schwangeren Arbeitnehmerinnen unzulässig sind, solange diese nicht von der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmte Stelle ausdrücklich für zulässig erklärt worden sind, ist allgemein bekannt. Möchte eine Arbeitnehmerin die Unwirksamkeit einer dennoch erteilten Kündigung geltend machen, ist (1.) die rechtzeitige, d.h. unverzügliche Information des Arbeitgebers über die Schwangerschaft sowie (2.) die fristgemäße Anrufung des zuständigen Arbeitsgerichts unumgänglich. Die Klageerhebung muss dabei stets innerhalb der vorgesehenen - oben genannten - Fristen erfolgen. Möglichkeiten einer "Verlängerung" dieser Fristen bestehen grundsätzlich nicht, es sei denn, die schwangere Arbeitnehmerin hatte selbst keine Kenntnis von der Schwangerschaft und die Unkenntnis beruht nicht auf einem von der schwangeren Arbeitnehmerin zu vertretenden Grund. Ein selbst durchgeführter Schwangerschaftstest, so das BAG, habe jedenfalls in dem vorliegenden Fall der Arbeitnehmerin nicht die erforderliche Kenntnis über den Zeitpunkt ihre Schwangerschaft vermitteln können, sondern erst der Untersuchungstermin beim Frauenarzt.
Schwangerschaftstest bieten je nach Modell unterschiedliche Auskunftsdetails. So existieren auch solche Schwangerschaftstests, die nicht nur ein „positives“ oder „negatives“ Testergebnis ausgeben, sondern auch solche, die zudem die voraussichtliche Schwangerschaftswoche anzeigen. Denkbar ist daher, dass bei der Beurteilung der „Nicht zu vertretenden Unkenntnis“ auch auf die Art des Schwangerschaftsmodells und dessen Informationsgehalt abgestellt werden könnte.
Gericht: BAG
Az: 2 AZR 156/24
Datum: 03.04.2025