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BAG: Freistellung innerhalb der Kündigungsfrist und Annahmeverzugslohn

Autorenbild: Adrian KalbAdrian Kalb

Das Bundesarbeitsgericht hatte über den Annahmeverzugslohnanspruch eines durch den Arbeitgeber innerhalb der Kündigungsfrist einseitig freigestellten Arbeitnehmers zu entscheiden.

 

Folgender Sachverhalt liegt zugrunde:

 

Der Kläger war seit November 2019 bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt, zuletzt als Senior Consultant gegen eine monatliche Vergütung in Höhe von 6.440,00 Euro brutto. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. März 2023 ordentlich zum 30. Juni 2023 und stellte den Kläger unter Einbringung von Resturlaub unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung seiner Arbeitsleistung frei. Der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage gab das Arbeitsgericht am 29. Juni 2023 statt, die von der Beklagten dagegen eingelegte Berufung hat das Landesarbeitsgericht am 11. Juni 2024 zurückgewiesen.

 

Nach Zugang der Kündigung meldete sich der Kläger Anfang April 2023 arbeitssuchend und erhielt von der Agentur für Arbeit erstmals Anfang Juli Vermittlungsvorschläge. Die Beklagte übersandte ihm hingegen schon im Mai und Juni 2023 insgesamt 43 von Jobportalen oder Unternehmen online gestellte Stellenangebote, die nach ihrer Einschätzung für den Kläger in Betracht gekommen wären. Auf sieben davon bewarb sich der Kläger, allerdings erst ab Ende Juni 2023 und somit erst kurz vor Ablauf der maßgeblichen Kündigungsfrist. Nachdem die Beklagte dem Kläger für Juni 2023 keine Vergütung mehr zahlte, hat er diese mit der vorliegenden Klage geltend gemacht. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und eingewendet, der Kläger sei verpflichtet gewesen, sich während der Freistellung zeitnah auf die ihm überlassenen Stellenangebote zu bewerben. Weil er dies unterlassen habe, müsse er sich für Juni 2023 nach § 615 Satz 2 BGB fiktiven anderweitigen Verdienst in Höhe des bei der Beklagten bezogenen Gehalts anrechnen lassen.

 

§ 615 BGB hat folgenden Wortlaut:

 

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

 

Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Zahlung der Vergütung für den Monat Juni 2023 abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben. Die dagegen erhobene Revision der Beklagten blieb vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg.

 

Die Beklagte befand sich aufgrund der von ihr einseitig erklärten Freistellung des Klägers während der Kündigungsfrist im Annahmeverzug und schuldet dem Kläger nach § 615 Satz 1 BGB iVm. § 611a Abs. 2 BGB die vereinbarte Vergütung für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist, so das BAG. Nicht erzielten anderweitigen Verdienst muss sich der Kläger nicht nach § 615 Satz 2 BGB anrechnen lassen. Der durch eine fiktive Anrechnung nicht erworbenen Verdienstes beim Arbeitnehmer eintretende Nachteil ist nur gerechtfertigt, wenn dieser wider Treu und Glauben (§ 242 BGB) untätig geblieben ist. Weil § 615 Satz 2 BGB eine Billigkeitsregelung enthält, kann der Umfang der Obliegenheit des Arbeitnehmers zu anderweitigem Erwerb nicht losgelöst von den Pflichten des Arbeitgebers beurteilt werden. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass ihr die Erfüllung des aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden, auch während der Kündigungsfrist bestehenden Beschäftigungsanspruchs des Klägers unzumutbar gewesen wäre. Ausgehend hiervon bestand für ihn keine Verpflichtung, schon vor Ablauf der Kündigungsfrist zur finanziellen Entlastung der Beklagten ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen und daraus Verdienst zu erzielen.

 

 

Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:

Die Entscheidung des BAG (5 AZR 127/24) liegt bislang nur als Pressemitteilung Nr. 6/25 vor. Das Bundesarbeitsgericht setzt damit auf seiner Entscheidung vom 12.10.2022 (5 AZR 30/22) auf, in der es überwiegend die Pflichten von Arbeitnehmenden zur Arbeitslosmeldung bei der Bundesagentur für Arbeit sowie die Pflicht zur Anstrengung eigener Bewerbungsbemühungen gekündigter Arbeitnehmer konkretisiert und gefordert hat. Diese Entscheidung ist zu dem § 615 Satz 2 BGB inhaltsgleichen § 11 Nr. 2 KSchG ergangen. Nunmehr hat das BAG neben den Pflichten von Arbeitnehmenden auch Pflichten von Arbeitgebern beschrieben, die Ihrerseits bei einer einseitigen Freistellung darlegen müssen, aus welchem Grund die Erfüllung des Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist für den Arbeitgeber unzumutbar gewesen wäre. Fordert das BAG nun tatsächlich die Darlegung der Unzumutbarkeit der Freistellung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, steht eine Durchmischung der Voraussetzungen der ordentlichen und der außerordentlichen Kündigung zu befürchten. Gegebenenfalls fühlen sich Arbeitgeber in der Praxis durch die Entscheidung des BAG sogar ermutigt, allein aus taktischen Gründen eine fristlose Kündigung der ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung mit Freistellungserklärung vorzuziehen.

 

 

Gericht:               BAG

Az:                       5 AZR 127/24

Datum:                12.02.2025

 

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