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  • AutorenbildAdrian Kalb

BAG: AVR Caritas weichen in unzulässiger Weise von den gesetzlichen Vorgaben des Entgeltfortzahlungsgesetzes ab

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich mit der Frage zu befassen, wie Bereitschaftsdienste im Anwendungsbereich der Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des deutschen Caritasverbandes (AVR) zu vergüten sind, wenn diese im Dienstplan vorgesehen sind, aufgrund von Arbeitsunfähigkeit des betroffenen Mitarbeiters jedoch tatsächlich nicht geleistet werden können.

Folgender Sachverhalt liegt der Entscheidung zugrunde:

 

Der Kläger war seit 1996 bei der beklagten Arbeitgeberin, die ein Krankenhaus betreibt, beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Parteien war die Anwendung der AVR in ihrer jeweils geltenden Fassung vereinbart. Der Kläger war in der Vergangenheit monatlich mindestens zweimal zu Bereitschaftsdiensten eingeteilt worden. Für geleistete Bereitschaftsdienste hatte der Kläger kein Entgelt erhalten, sondern die Inanspruchnahme von Freizeitausgleich gewählt. Im Januar und März 2020 sowie im Mai 2021 war der Kläger ebenfalls zur Ableistung von Bereitschaftsdiensten im Dienstplan vorgesehen. Diese Bereitschaftsdienste leistete der Kläger nicht, da er arbeitsunfähig erkrankt war.

 

Im Hinblick auf die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verweist Abschnitt XII der Anlage 1 zu den AVR auf die Höhe der Urlaubsvergütung, die dem Mitarbeiter zustehen würde, wenn er Erholungsurlaub gehabt hätte. Zur Höhe der Urlaubsvergütung regelt § 2 der Anlage 14 zu den AVR das Folgende:

 

(1)    Während des Erholungsurlaubs erhält der Mitarbeiter die Dienstbezüge nach Abschnitt II der Anlage 1 zu den AVR einschließlich der Zulagen, die in Monatsbeträgen festgelegt sind, die er erhalten würde, wenn er sich nicht im Urlaub befände. (…) Beim Vorliegen der Voraussetzungen erhält der Mitarbeiter zusätzlich pro Urlaubstag einen Aufschlag nach Absatz 3.

(2)    (…)

(3)    Der Aufschlag ermittelt sich aus dem Tagesdurchschnitt

(…)


der Vergütung für Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaft (…)

 

Im Arbeitszeitkonto des Klägers wurden die krankheitsbedingt ausgefallenen Bereitschaftsdienste jeweils mit 0 Stunden bewertet. Stattdessen zahlte die Beklagte an den Kläger dessen Dienstbezüge sowie einen Aufschlag nach § 2 Abs. 3 der Anlage 14 zu den AVR. Diesen Aufschlag berechnete die Beklagte, indem sie die Summe der ausgezahlten Aufschläge und Zeitzuschläge sowie die Vergütung für Rufbereitschafts- und Bereitschaftsdienste der jeweils letzten drei Monate vor dem krankheitsbedingt ausgefallenen Bereitschaftsdienst zugrunde legte. Die Teile des Bereitschaftsdienstes, die in Freizeit ausgeglichen wurden, haben bei der Ausgleichszahlung finanziell keine Berücksichtigung gefunden.

 

Der Kläger vertritt die Auffassung, die ausgefallenen Bereitschaftsdienste müssten als Arbeitszeit zu werten und entsprechend seinem Stundenkonto gutgeschrieben werden. Denn soweit es sich bei den ausgefallenen Bereitschaftsdiensten um gewertete Arbeitszeit handelt, könne er nach den zwingenden Vorgaben des Entgeltfortzahlungsgesetzes eine Vergütung fordern. Dieses sehe nach dem Lohnausfallprinzip vor, dass dem Kläger, sofern er die in Rede stehenden Bereitschaftsdienste geleistet hätte, diese Zeiten in entsprechender Stundezahl seinen Arbeitszeitkonto gutgeschrieben worden wären und er im Krankheitsfall nicht schlechter gestellt werden dürfe. Der Zuschlag, den die Beklagte gezahlt hatte, stelle für die unterbliebene Zeitgutschrift keine ausreichende Kompensation dar.

 

Die Beklagte meint hingegen, zur Gewährung der Stundengutschriften nicht verpflichtet zu sein, da sie die Ansprüche des Klägers auf Gewährung von Krankenbezügen nach Abschnitt XII der Anlage 1 zu den AVR i.V.m. § 2 der Anlage 14 zu den AVR ordnungsgemäß erfüllt habe.

 

Das Arbeitsgericht hat sich der Argumentation der beklagten Arbeitgeberin angeschlossen und die Klage als unbegründet abgewiesen. Die gegen diese Entscheidung eingelegte Berufung des Klägers vor dem LAG Hamm hatte Erfolg. Nach Auffassung des LAG steht dem Kläger ein Anspruch auf die begehrte Stundengutschrift zu. Das BAG hat nunmehr die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 

In der maßgeblich streitgegenständlichen Rechtsfrage hatte das Bundearbeitsgericht allerdings festgestellt, dass die AVR Caritas nicht in zulässiger Weise von den gesetzlichen Vorgaben des Entgeltfortzahlungsgesetzes abweichen.

 

Der Kläger habe grundsätzlich einen Vergütungsanspruch für die krankheitsbedingt nicht geleisteten Bereitschaftsdienste nach den Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EFZG). Denn werde ein Arbeitnehmer unverschuldet an der Erbringung seiner Arbeitsleistung durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit verhindert (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG), ist das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen (§ 4 Abs. 1 EFZG). Durch die Vorschriften zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall behält der Arbeitnehmer als Ausnahme zu dem Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ seinen Anspruch auf die Gegenleistung, d.h. sein voller (arbeits-)vertraglicher Vergütungsanspruch einschließlich etwaiger Zuschläge für die durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht erbrachte Arbeitsleistung bleibt grundsätzlich aufrechterhalten, so das BAG. Es komme daher gemäß § 4 Abs. 1 EFZG darauf an, in welchem Umfang der Arbeitnehmer gearbeitet hätte, wenn er arbeitsfähig gewesen wäre (sog. modifiziertes Entgeltausfallprinzip). Bei den streitgegenständlichen Bereitschaftsdiensten des Klägers handelt es sich um tatsächlich ausgefallene Arbeitszeit, die im Rahmen der gesetzlichen Entgeltfortzahlung (Zeitfaktor) zu berücksichtigen ist, denn die Bereitschaftsdienste waren Teil der abgeforderten und geschuldeten Arbeitsleistung des Klägers, an deren Erbringung er unverschuldet durch Arbeitsunfähigkeit verhindert war. Wäre er arbeitsfähig gewesen, hätte er diese Bereitschaftsdienste geleistet. Die Bereitschaftsdienste sind damit Teil der regelmäßigen Arbeitszeit des Klägers und nicht etwa Überstunden im Sinne von § 4 Abs. 1a EFZG, wie noch das erstinstanzliche Arbeitsgericht angenommen habe. Von diesen gesetzlichen Bestimmungen zur Entgeltfortzahlung weichen die Bestimmungen der AVR Caritas (§ 12a AVR Caritas iVm. Abschnitt XII Abs. a Satz 1, Abs. b Satz 1 der Anlage 1 AVR Caritas iVm. § 2 der Anlage 14 AVR Caritas) ab. Diese wirken nicht ausschließlich zu Gunsten der Arbeitnehmer. Jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer im Referenzzeitraum des § 2 Abs. 3 der Anlage 14 AVR Caritas ausschließlich Bereitschaftsdienste geleistet hat, erhält er pro Tag der Arbeitsleistung nicht das Entgelt bzw. Freizeitäquivalent für die volle ausgefallene Arbeitszeit, sondern nur einen Bruchteil davon. Damit ist festzustellen, dass die AVR Caritas durch eine Vermischung des gesetzlichen Prinzips des modifizierten Ausfallprinzips mit dem Referenzprinzip zu Ungunsten von Arbeitnehmern von den gesetzlichen Anforderungen des EFZG abweichen. Diese Abweichung ist unwirksam.

 

Hinweis von Rechtsanwalt Adrian Kalb:

Das BAG hat in großen Teilen die Ausführungen des Berufungsgerichts hinsichtlich der Anwendbarkeit der Bestimmungen der AVR Caritas bestätigt. Dienstgeber, die bislang die beschriebene Entgeltfortzahlung nach den AVR Caritas vorgenommen haben, werden künftig auf die gesetzlichen Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes zu verweisen sein. Das BAG hat zudem nochmals bestätigt, dass eine Abweichung von den Vorschriften des EFZG sich auch nicht über die Öffnungsklausel in § 4 Abs. 4 EFZG rechtfertigen lasse, da die AVR Caritas keine Tarifverträge iSd. § 1 Abs. 1 TVG sind. Ihnen fehle die normative Wirkung. Dies verletze im Übrigen nicht das verfassungsrechtlich gewährte Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht der Kirche (Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV). Es ist insbesondere kein im kirchlichen Selbstbestimmungsrecht wurzelndes Bedürfnis zu erkennen, zu Lasten von Arbeitnehmern von den zwingenden Vorgaben des § 4 EZFG abzuweichen. Die Zurückverweisung an das LAG ist erfolgt, um noch zu klären, auf welcher Grundlage bzw. aufgrund welcher Regelung ein Arbeitszeitkonto geführt werde und ob dieses eine Buchung des Bereitschaftsdienstentgelts als Zeitguthaben überhaupt zulasse.

 

Gericht: BAG

Az: 6 AZR 210/22

Datum: 05.10.2023


BAG: Feiertagszuschläge und Beschäftigungsort

In diesem Verfahren hatte ein Mitarbeiter Klage erhoben, der regelmäßig in Nordrhein-Westfalen beschäftigt wurde, vom ersten bis 5. November 2021 aber an einer Fortbildungsveranstaltung in Hessen teil

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